»Und jetzt, meine Damen und Herren, eine wunderschöne, elegante Frau mit einer wirklich poetischen Darbietung in der sie Ihnen die Sinne und den Kopf verdrehen wird, hier ist..... Roxana«

Ein Mädchen in der 2000ern, erst im Kindercircus zum Einrad fahren lernen, Kugel und Drahtseil laufen und Akrobatik machen. Dann, durch ein glückliches Missverständnis folgt sie dem circusinternen Mythos, demzufolge es notwendig ist 3 Bälle jonglieren zu können um in die Auftrittsgruppe zu dürfen, und sie entdeckt auch die Jonglage: Vielleicht der wichtigste Schritt für meine weitere Entwicklung im Circus. Zumindest was die Erfahrung des genderunspezifischen Trainierens und Auftretens anging. Es waren die Jonglage-Nummern, in denen nicht die Mädchen Mädchen und die Jungs Jungs waren. Wir waren einfach Jongleurinnen und Jongleure. Besonders in den überregionalen Circustreffen wurde mir klar, wie sensibel speziell bei uns im Kinder- und Jugencircus mit Rollenklischees umgegangen wurde. In unseren Shows hinterfragten die Trainer*innen und dann auch wir selbst unsere Kostüm- und Musikauswahl. Und trotzdem, die Luft- und Ensemblenummern wurden vorallem von Mädchen, die Solo (zumeist Jonglage) -Nummern von Jungs aufgeführt.

 

Wer bekommt wie ein Bühnen-Selbstvertrauen und probiert sich aus, wer ist es gewohnt eine von vielen zu sein, wer nimmt selbstverständlich Raum ein, wer möchte sich nicht in der Vordergrund stellen ? 

 

Die gegenderte Disziplin-Auswahl war dann auch in meiner Ausbildung an der Academy for Circus and Performance Art (Tilburg NL, 2009-2013) immer wieder ein Phänomen, das ich zwar wahrnahm aber nicht einordnen konnte. Am konkretesten äußerte es sich noch in einem inneren Ringen mit der Tatsache, überzeugte Feministin zu sein, und dennoch die typischen Frauen-Disziplinen Trapez und Antipoden (Fußjonglage) zu machen. Bezogen auf Kostümwahl und Bühnencharaktere stellte ich mir Fragen wie:

»Sollte ich nicht lieber meine ganze Technik umstellen, so dass ich nicht darauf angewiesen bin nackte Beine zu haben?« oder »Wieso finde ich jetzt schon wieder diesen bedächtigen Bühnencharakter in der Kombi mit Klaviermusik so spannend, könnte ich nicht mal endlich was weiblich-konnotiert-untypischeres interessant finden?«

oder »Kann ich wirklich mit Make-Up und rasierten Achseln auftreten und damit ein Rollenbild verkörpern, dass ich gar nicht reproduzieren will?« aber auch »Kann ich wirklich meine Beine unrasiert lassen, in diesem renommierten Varieté-Engagement?«

Fragen, die ich sinnvoll finde, sich zu stellen um eine ganze künstlerische Bandbreite in sich zu entdecken, aber die mir genau das Dilemma widerspiegeln in dem wir uns als performende weiblich gelesene Personen immer wieder wiederfinden. Die Tatsache, dass wir uns oft in bestimmten Rollenbildern/Kostümen/Bewegungsqualitäten/… wohlfühlen, muss uns von den Vorwürfen an uns selbst wegführen, entpersonalisiert und dafür kontextualisiert werden. Und wir brauchen Verständnis mit uns selbst, Wissen darüber, wie wir sozialisiert wurden und werden, auch und gerade in den verschiedensten Stationen unserer Ausbildung. Davon ausgehend können wir Trainings-, Recherche- und Kreations-Methoden entwicklen, uns selbst und andere außerhalb dieser Rollen entdecken und eine neue künstlerische Vielfalt schaffen. Teilweise sehe ich diese neue Vielfalt schon unter heutigen Circusschüler*innen, die in den 2010ern mit selbstverständlicherem Fokus auf Feminismus in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft aufgewachsen sind. Eine feministische Circuspädagogik kommt einer Chancengleichheit für alle zu Gute, eben auch Jungs, und nicht nur denen, die  vielleicht kein Diabolo-Solo machen wollen. Eine feministische Circuspädagogik betrifft ebenso eine Parität von Dozierenden und Direktionen von professionellen Circus-Ausbildungen, unabhängig von den Disziplinen. Von den Erfahrungen im professionnellen Auftrittsleben gar nicht erst anzufangen, denn nein, der Titel dieses Essays ist Teil des Ganzen und nicht einfach nur die Ansage meiner Nummer.

 

 

Gedanken von Roxana Küwen Arsalan (Zirkusschule Seifenblase, Jugendcircus CircA Holix, Academy for Circus and Performance Art Tilburg / heute in Toulouse und Köln lebend / Dozentin u.a. in der Weiterbildung Zirkuspädagogik am ZAK, Die Etage Berlin, AcaPA Tilburg, ESACTO’Lido Toulouse, / Artistin u.a. solo mit international tourenden Acts, mit der Projektgruppe CiNS, mit Ariane&Roxana sowie in Kreation mit der von ihr gegründeten Compagnie بلبل  bolbol)