„Warum mache ich mich hier nicht klein?”

 

 

Wir sind Max und Ulf, Freunde und Mitbewohner aus Köln. Wir haben beide zuerst an der Deutschen Sporthochschule studiert und uns danach einem sozialen Beruf gewidmet. Max schloss ein Studium in Sozialer Arbeit an und studiert derzeit Gender Kultur und sozialer Wandel. Ulf studiert sonderpädagogische Förderung auf Lehramt. Beide arbeiten als Sozialarbeiter in der Betreuung.

ein reflektiertes Interview von Yolande mit Max und Ulf

Ich beschäftige mich noch nicht lange mit dieser Gleichberechtigung. Auch nicht mit Feminismus. Ich erinnere mich noch an eine Diskussion im Erziehungswissenschaften-Studium vor sieben Jahren, als ich das erste Mal mit dem Thema in Berührung kam. Ich fand das alles immer etwas übertrieben. Durch Erlebnisse und Erziehung hatte ich mir die Welt eher so erklärt, dass Frauen „die Bösen” sind und die armen Männer unter ihrer Hinterlistigkeit leiden. Als ich das vor kurzem jemandem erzählte, fragt er mich, dass ich doch auch eine Frau sei und wie ich mich denn selbst denn dann gesehen hätte. Na ja, genau so. Also kalt und hinterlistig. Dieses Selbstbild und auch mein Blick auf Frauen* hat sich zum Glück sehr geändert. 

Es gab einen sehr klaren Auslöser für meine Beschäftigung mit der Thematik. Ich arbeite unter anderem für den Verein EXIT Enter life e.V. und unterrichte in diesem Kontext auch Gruppen mit sogenannten marginalisierten jungen Erwachsen. In einem Projekt vor zwei Jahren gab es die Situation, dass ein junger Mann lieber das Projekt verließ, als sich etwas von mir erklären zu lassen. Das kann natürlich auch an mir persönlich gelegen haben, aber ich hatte sehr stark das Gefühl, dass allein um mein Geschlecht ging und er sich einfach nichts von einer Frau sagen bzw. erklären lassen wollte. Weibliche Autorität schien für ihn nicht ertragbar. 

Ich war ziemlich irritiert. 

    

Jetzt, nachdem ich zwei Jahre darüber nachgedacht habe und begonnen habe, meine Beziehungen zu Männern zu hinterfragen, beginne ich das Ausmaß meiner Selbsttäuschung zu erkennen. Seitdem ich mich mit dem Thema beschäftige, verändern sich auch die Menschen, die in mein Leben treten und ich erlebe, wie es sich anfühlen kann, Männern zu begegnen, die meine Meinung nicht aufgrund meines Geschlechts in Frage stellen. Wie viel hat das mit mir zu tun und wie viel mit der anderen Seite?

 

Wann fange ich an, mich klein zu machen, mich unterzuordnen, wie ich es mein Leben lang getan habe? Und es mir auch immer wieder passiert, egal wie reflektiert und wie aufmerksam ich bin? 

 

Was kann die „andere” Seite tun, um mich zu unterstützen? 

 

Diesen Fragen gehe ich seit einiger Zeit nach und spreche darüber immer wieder mit meinem besten Freund, der der erste Mann war, bei dem mir auffiel, dass hier irgendetwas anders läuft zwischen uns. Zu Anfang war ich sehr irritiert von seinem Umgang mit mir. Ich fühlte mich fast unangenehm gesehen und wahrgenommen. Was ich sagte, wurde gehört und ernst genommen. Es dauerte etwas bis ich mich daran gewöhnte. Für den Research, der unsere Produktion begleitet, führte ich ein Interview mit ihm und seinem Mitbewohner. Der Ausgangspunkt für dieses Interview war mein Erleben in ihrer Männer-Wg, dass ich mich nicht klein machen musste bzw. es gar nicht wirklich möglich ist. Was braucht es also um ein Miteinander zu gestalten, in dem keine*r  in „gewohnte Hierarchien“ verfällt?

Ich: „Was ist eure Definition von Feminismus?“

Ulf: „Ich würde das recht simple definieren. Meinem Verständnis nach ist Feminismus die Sichtweise, dass alle Menschen gleichwertig sind. Gleichwertig ist wichtig, nicht gleich, sondern gleichwertig.“

Max: „Finde ich gut! Aber rein vom Ursprung hat es ja schon eine geschlechtsspezifische Perspektive. Ursprünglich ging es ja um die Gleichstellung von Frau und Mann. Zuerst kam dann die Erkenntnis, dass Frauen auch Menschen sind, dann dass Frauen auch wählen dürfen, dann gibt’s einen radikalen Feminismus, der sagt: Frauen sind nicht nur auch Menschen, sondern einfach mega geil und teilweise noch besser. Das weibliche Geschlecht wird aufgewertet, also ist noch wertvoller, um dann irgendwann dahin zu kommen, Mann und Frau scheißegal bzw. es gibt eigentlich gar nicht Mann und Frau. Wir dekonstruieren das ganze jetzt… das ist ja alles eine Entwicklung. Bis wir irgendwann an dem Punkt sind, dass wir alle Menschen sind. WOW. Das dauert noch ein bisschen. Bis dahin sind wir halt noch Mann und Frau und schwarz und weiß und dann sind wir irgendwann einfach Mensch.“ 

Nach diesem Plädoyer erinnere ich mich daran, dass ich als Kind zwischen Männern und Menschen unterschied. Es gab Menschen, das waren Frauen und es gab halt Männer. Meine beiden Gesprächspartner feiern das. Als ich mir die Aufnahme unseres Abends anhöre, frage ich mich, ob das so richtig ist. Ich rutsche dann doch immer wieder darein, dass ich Männer verteidigen will und den ganzen Feminismus übertrieben finde. Aus anerzogenen Glaubenssätzen komme ich einfach nicht so schnell heraus, habe ich doch 26 Jahre lang immer die Seite der Männer eingenommen und verteidigt. 

Bei der nächsten Frage, warum ich mich nicht klein machen muss in dieser WG steht dann doch erstmal ein großes Fragezeichen im Raum. Die beiden freuen sich über das Feedback aber wir sitzen dann etwas ratlos voreinander. Ich, weil ich gedacht hätte die Antwort sei einfach, die beiden, weil sie die Antwort nicht kennen. Wir werden das Geheimnis vielleicht doch nicht an einem Abend lüften. Weiter im Text: Wir fragen uns, welche möglichen Rollen es für den cis Mann in der ganzen Sache gibt. Max schlägt zwei Möglichkeiten vor: Entweder der Mann nimmt sich zurück um Raum zu geben, oder er nutzt seine Position um auf das Thema aufmerksam zu machen. Sind wir darauf angewiesen, dass cis Männer dieses Thema in die Öffentlichkeit bringen und ihre Resonanz nutzen? Weil die Deutungshoheit dann doch wieder bei den Männern liegen würde… 

 „Klar sollte nur sein, dass sie den Diskurs nicht lenken, steuern und führen (was alles das Gleiche ist).“, stellt Max dann noch fest.

Ich: „Was braucht es also um Menschen, vor allem heterosexuelle cis Männer, davon zu überzeugen, dass sich etwas ändern sollte?“ 

Ulf: „Es braucht die Erkenntnis, dass das Patrichat allen Menschen schadet. Auch die meisten Männer leiden darunter. Unter dem verengten Männerbild, welches verhindert, dass sie sich individuell entfalten können. Cis Männer fühlen sich blöderweise nur oft angegriffen, weil sie denken, ihnen wird etwas weggenommen.“

Max: „Es braucht das eigene Eingeständnis sein eigenes Verhalten als falsch zu bezeichnen. Was ich früher als normal empfand, war halt ein Scheißzustand für andere Menschen. Was ich normal fand, war nicht wertschätzend.“ 

Ulf: „Mann muss einfach aus dem Ego raus. Das ist der Ultra-Knackpunkt.“

Ein wichtiger Punkt, dieses Ego. Im Laufe des Gesprächs landen wir immer wieder bei ihm. Genau genommen, beim männlichen Ego. Der Mann muss es schaffen aus dem eigenen Ego rauszukommen und sich selbst kritisch entgegenzutreten. Und ja, ich weiß: not all men. Keine Frage, wissen wir alle, dass nicht jeder Mann ein sexistisches Arschloch ist, aber die Notwendigkeit dieses Argument zu bringen, zeigt doch wieder genau das Problem: Es geht wieder um das Ego des Mannes, der meint betonen zu müssen, dass doch nicht alle Männer das Problem seien. Er kann sich selbst nicht eingestehen, dass er, wie jede*r andere*r, Teil des Systems ist, und dass das Kennen einer Feminismusdefinition ihn noch lange nicht besser macht, als den Mann, der auf der Straße einer Frau im Minirock hinterher pfeift. Max sagt dazu immer: „Es geht auch nicht um den Mann. Aber es geht um die Männer.“ Und dass Männer die einzige Spezies sind, die nicht gewöhnt sind, dass wir über sie im Kollektiv sprechen. Dann fühlen sie sich nicht gesehen in ihrer wunderbaren Einzigartigkeit. Traurig. Sophie Passmann schreibt in ihrem Buch “Komplett Gänsehaut”, dass es diese neuen feministischen Männer gibt, bei denen der einzige Unterschied ist, dass sie Frauen jetzt unterbrechen um ihnen zu erklären, was Feminismus eigentlich ist. Wieder ist das Ego auf dem Dach: „Hey hey, sieh mich, ich bin ein moderner feministischer Mann.“ Und ich stehe ihm gegenüber und ertappe mich dabei, dass ich beeindruckt bin. Wenn ein Mann mich sieht und z.B. ein Nein akzeptiert, entsteht in mir der Wunsch mich zu bedanken. „Wir müssen uns nicht dafür bedanken, dass sie uns nicht scheiße behandeln.”, sagt meine Mitbewohnerin dazu. Und ja, das sollte wohl die Norm sein. 

Was braucht es also, um als weißer heterosexueller cis Mann wirklich in eine Supporter-Rolle zu kommen? Welchen Schritt braucht es von „Ja, ich ja nicht.“ zu „Ich nehme mich zurück”? Wir brainstormen ein bisschen: 

Max: „Willen und Bereitschaft, sich Dinge anzuhören und anzunehmen, eine wertfreie Bildung und Vermittlung…

Ulf: „Es muss einfach überall Thema sein.“

Ich: „Und was ist wichtig, um es mit verschiedenen Menschen zu thematisieren? Wir starten ja nicht alle an derselben Linie. “

Max: „Oft nicht angreifen, leider Gottes. Sehr sensibel sein. Adressat*innenangepasstheit ist super wichtig. Die Menschen mit denen ich arbeite, gehen erstmal davon aus, dass sie sexitische Kackwitze mit mir machen können und wenn ich dann mit ihnen darüber ins Gespräche gehe, kommt eine Dissonanz zu Stande: ‚Der ist doch ein Mann und findet Frauenwitze nicht gut – Hä?‛. Es braucht ganz viel Geduld. Es passiert nicht von heute auf morgen und dass muss man auch akzeptieren, dass das nicht jeder direkt checkt und mitgeht. Es braucht die Entwicklung. Es könnte sein, dass es ein guter Schritt ist, dass eine Person ‚nur‛ noch sexitische Witze macht. Vielleicht muss man auch nachsichtig mit den uneinsichtigen Männern sein. 

Ich würge.

Max: Ja, auf jeden Fall. Mega ätzend. Aber am Ende ist doch die Frage, was führt zu einer Veränderung. Und ich glaube, es braucht da alles und es gibt kein richtig und falsch. Es braucht auf jeden Fall die radikalen Menschen, damit die Leute es mal gehört haben, was aber oft kontraproduktiv ist oder zu einer Abwehr führt. Aber wenn man zu manchen vielleicht einfach sagt: ‚Hey du bist doch auch ein Mensch und deine Mutter magst du doch auch…‘ da sind wir an einem anderen Punkt. Da muss man leider auf diese Idioten zugehen. Aber ich war halt auch vor nicht allzu langer Zeit ein ziemlicher Idiot. Und im Endeffekt wurde ich an die Hand genommen und habe es so langsam vielleicht ein bisschen gecheckt, aber das ist einfach ein Prozess und man muss sich immer wieder fragen, was wirksam ist. Ich glaube, dass wenn man Menschen zu gewaltsam auf ihre Fehler hinweist, dann entstehen noch mehr Fehler.“

Als ich diesen Text meiner Mitbewohnerin vorlese, weist sie mich auf einen wichtigen Punkt hin. Es stimmt natürlich, dass es Geduld braucht. Aber wer muss diese Geduld aufbringen? Müssen Menschen, die selbst von Diskriminierung betroffen sind, immer wieder darüber aufklären oder kann vielleicht genau das eine unterstützende Aufgabe sein? Können weiße heterosexuelle cis Männer, die sich mit der Thematik auseinandergesetzt haben, die Geduld aufbringen, die ich nicht mehr habe, meinem Freund zu erklären, dass das Patriarchat auch zwischen ihm und mir eine Rolle spielt?

Ich: „Zu guter Letzt: Was möchtet ihr den Menschen mitgeben?“

Ulf: „Bleib nicht wie du bist. Veränderung ist gut!“

Max: „Dass mensch auf sich selbst schaut. Und sich selbst auch kritisch gegenüber sein kann. Und dass das auch geil ist, sich selbst zu reflektieren und über sich selbst nachzudenken. Ist mega anstrengend und tut weh und oft denkt man, fuck, was bin ich denn für ein Idiot. Aber es ist auch richtig geil festzustellen, in welchen Strukturen man ist. Und man muss irgendwie von einem Schuldbegriff runter. Der bringt einfach nicht so viel. Ich bin so aufgewachsen und ich kann da in dem Sinne nichts für, dass ich das alles gelernt habe. Von Lehrer*innen, Familie und Werbung. Wir stecken da alle drin. Und dann können wir feststellen, Mann und alle anderen Menschen können sich davon lösen. Es ist super spannend seine eigenen Muster zu durchblicken und langsam raus zu kommen.“

Ein paar Tage nach dem Interview komme ich darauf, was für mich persönlich der entscheidendste Faktor ist. Es ist der Konsens, dass es Sexismus überhaupt gibt, er alles durchdringt und jede Freundschaft und jede Beziehung in irgendeiner Form beeinflusst. Dass Frauen und queere Menschen Diskriminierung erfahren, und, dass das schlicht und ergreifend scheiße ist. Dass der weiße heterosexuelle cis Mann super privilegiert ist und wir alle das System reproduzieren. Dass ich für diese Erkenntnisse nicht erst kämpfen muss, ermöglicht mir freier zu atmen. Ich bin entspannter und wir können uns auf einer anderen Ebene begegnen. Ich trage nicht alleine die Verantwortung dafür, dass beide Seiten nicht in ihre gewohnten Rollen verfallen: Mann oben, Frau unten. Allein dadurch, dass diese Erkenntnis Konsens ist, fühle ich mich gesehen und gehört in meiner Ansicht der Dinge. Ich weiß, dass ich etwas am Verhalten des Gegenübers kritisieren könnte und es ernst genommen werden würde. Das liegt vielleicht daran, dass die Einsicht besteht, dass der weiße heterosexuelle cis Mann diese Perspektive zwar verstehen kann, aber dann doch nie wirklich nachempfinden. Seit ich dies verstanden habe, fällt es mir leichter mit cis Männern über das Thema Feminismus zu sprechen. Wohlgemerkt ‚leichter‘, keinesfalls leicht.